Ebbes vom "Bettche", sein "Aujust" en annern

Werte Besucher, nicht wundern, wenn es teilweise chaotisch hergeht, ich "räume auf" und stelle ein wenig um

 

Ebbes vom "Bettche", sein "Aujust" en annern 


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Kurzgeschichten aus dem Oberhessischen 

Ebbes vom "Bettche", sein "Aujust" en annern 

 

Kurzgeschichten von Harald Herrmann …

…selbst erlebt und/oder aufgeschnappt am Wirtshaustisch, bei Familienfeiern, Vereinsfeiern oder gar Beerdigungen. 

An dieser Stelle werde ich einige Kurzgeschichten vorstellen, die meiner Meinung nach nicht vergessen werden sollten. Die Namen "Aujust" en "Bettche" sind willkürlich gewählt und haben keinen Bezug zu lebenden oder toten Personen. Sollte jemand sich und/oder Verwandte/Bekannte in Geschichten wiederfinden, so sei gesagt, dass so oder ähnlich sich sehr viel in den Dörfern von Vogelsberg, Wetterau und umliegenden Gegenden zugetragen hat …

 

 

Inhaltsangabe:

 

Aujust en de Obba em Struhhäusche

Es Bettche verguckt sich en de Aujust

Es Bettche hoiroat sein Aujust

Graf Aujust Dracula

Es lang "Feuerholz"

Es Bettche en sein Aujust woarn en Gäiße

Es naue Klo

De Schwoarzfaoarer

Es Bettche en sie nau Kass

Unverhoffte Begegnung

 

 

 

 

 

 

Aujust en de Obba em Struhhäusche
 

Es war die Zeit kurz nach dem Krieg, das Leben kam wieder in Gang, auf den Dörfern halt schneller als in den Städten, hatten die Dörfler doch Tricks genug auf Lager, der allgemeinen Kontingentierung der Lebensmittel ein Schnippchen zu schlagen. Dazu gehörte neben anderem auch die " Wiegesau", ein deutlich hinter seinen zur Verwurstung bestimmten Kollegen zurückgebliebenes Schwein, das bei jeder angemeldeten Schlachtung statt der eigentlich zu schlachtenden gut genährten Sau zur dörflichen Viehwaage getrieben wurde.
Na ja, getrieben wurde es nicht mehr, das Schweinchen kannte seinen Weg, der Wiegemeister steckte schmunzelnd seine Wurst oder eine Flasche schwarz gebranntem Schnaps ein, zum Einstellen des Gewichtes waren nur minimale Veränderungen zur letzten Wiegung vorzunehmen, das Gewicht des Schweines wurde auf der Wiegekarte dokumentiert und der dicke Verwandte kam unters Messer.

Mit dieser Methode – eigentlich ein offenes Geheimnis - wurden einige Zusatzkilo Fleisch herausgeschlagen. Die Produktion von Obstweinen und -Schnäpsen lief hinter verschlossenen Türen auf Hochtouren, man prügelte sich fast um alles, was an wilden Hecken und verkrüppelten Bäumen hing, nach kürzester Zeit waren alle Bauern Profis im Schwarzbrennen. Auch die Apotheke in der angrenzenden Kleinstadt hatte sich dem Stil der Zeit angepasst, gegen eine Seite Speck gab es alle Zutaten, um aus einem Kartoffelschalen/Getreideschnaps den besten Likör zu zaubern!

Und so konnte man zum Beispiel beim Dreschen mit der Dreschmaschine genügend zu Essen und zu Trinken anbieten. Viele Helfer waren bereit, nur gegen Verköstigung dort mitzuhelfen, Wurde doch bei solchen Gelegenheiten der "Muckefuck" (selbst gerösteter Ersatzkaffee aus Gerste ) mit einem Drittel echtem Kaffee angereichert, zum Wachwerden beim morgendlichen Dreschbeginn zwischen vier und fünf Uhr.

"Aujust", Kriegsheimkehrer, Bauernsohn, lang, dürr und mit großem, kaum zu stillenden Appetit hatte das Glück, mit einem Lohndrescher über die Dörfer zu ziehen, an jedem Tag bei einem Großen oder zwei kleinen Bauern die Dreschmaschine zu bedienen und neben satt zu Essen und Trinken gab es auch noch Geld auf die Hand, wenn er Glück hatte auch mal amerikanische Zigaretten.

Nun kamen Sie eines Tages zum zweiten Bauernhof des Tages, einem kleinen Betrieb, wo das gedroschene Stroh erst einmal im Hof gelagert werden musste, bevor es nach dem Entfernen der Dreschmaschine wieder in die Scheune kam. Der Großvater des Anwesens hatte schon am Morgen beim Nachbarn mitgeholfen, hatte dort auch schon einige Schnäpse getrunken und war nun eingeteilt, die jungen Burschen beim richtigen Aufsetzen der Strohballen zu leiten und ab und zu auch einen Schnaps auszugeben.

Entweder hatte er seine Trinkfestigkeit über-, das warme Wetter unterschätzt, oder beides war der Fall, es spielte im Nachhinein keine Rolle mehr. Nachdem er zum Gaudi der jungen Leute zweimal fast beim Einnicken vom Schemel gefallen war wurde er zum Strohhaufen geführt und da saß Opa Wilhelm nach kürzester Zeit schlafend auf einem Strohbausch. Die Jungspunde grinsten sich an, ein kurzes Nicken und - Ratzfatz - waren mehrere Strohballen kunstvoll um ihn herum aufgebaut und der Opa nicht mehr zu sehen.

Zur Kaffeestunde, zu der es frisch gebackenen Kuchen gab, wurde Opa Wilhelm zwar halbherzig von den Enkeln gesucht und nicht gefunden, da einer zu wissen glaubte, man habe ihn seitens der Dreschmaschinenbesitzer zum Schmied geschickt, um etwas richten zu lassen. Aujust, der sehr wohl die Aktion mit dem Großvater mitbekommen hatte, meinte auf Befragung, dass sein Arbeitgeber für etwa drei Stunden weg sei:
»Ei Joa, doas kann sei, er hott de Wilhelm met em verboachene Steck zoum Richte en die Schmedde geschucht.«

Als das Dreschen beendet war, die Maschine aus der Scheune rollte und alle Mitwirkenden unter Hochdruck begannen, das Stroh in die Scheune zu bringen, da kam Opa Wilhelm wieder zum Vorschein, friedlich in seiner Höhle schlafend, die Schnapsflasche wie einen Säugling in die Armbeuge gelegt. Man rief halblaut schnell alle Helfer zusammen und durch deren brüllendes Gelächter wurde er endlich wach.

Das Stroh wurde an seinen angestammten Platz gebracht, ebenso Opa Wilhelm, der, gestützt auf Frau und Tochter, Richtung Bett entschwand. Als alle Helfer nach getaner Arbeit in der Stube beim Essen saßen, wurde jede der obligatorisch zu servierenden Schnapsrunden mit den von Lachsalven begleitenden Worten …
»Dem trinkfeste Wilheln e dreifach Hoch, Hoch, Hoch.« geleert, die Oma Bettchen in der Küche zusammenzucken ließen. Ihr empörter Blick ging dann hoch zur Decke, wo ein Stockwerk höher Opa Wilhelm den Schlaf der Gerechten schlief.

Noch lange war er den Späßen der Nachbarn ausgesetzt, immer wieder wurde ihm aus den Höfen zugerufen:
"Wilhelm, widde nit e Schnäpsche, mir honn dir aach en Struubausch aus de Scheuern!"

Ironie des Schicksals - In besagter Scheuer befindet sich, betrieben von seinen Urenkeln, ein Getränkehandel und dort, wo Opa Wilhelm sein Schläfchen gehalten hatte, steht eine Sitzgruppe, an der an schönen Tagen manche Alkoholika "vernichtet" werden.

Zur Walpurgisnacht, wenn die Dorfjugend ihren Schabernack treibt, sind diese Tische und Stühle sorgsam weg geschlossen, aber in manchen Jahren liegen dort am Morgen nach der Walpurgisnacht einige Strohballen und kurz darauf erscheinen einige junge Leute, die gerne bereit sind, gegen einen Kasten Bier diese wegzuräumen. Auf die Frage, warum das grade hier so ist bekommt man zur Antwort: " Ei, des war doch schon immer so …"

 Schade, dass solche Geschichten nicht mehr weitererzählt werden, bis vor zwanzig, dreißig Jahren kannte sie im Dorf jeder …

 

 

Es Bettche verguckt sich en de Aujust

"Es Bettche", als Tochter des "Eckeschusters" Friedrich Klein - der seinem Nachnamen alle Ehre machte - und seiner Frau Frieda dem "Friedche" - die zu ihrem Mann aufschauen musste, geboren und auf den Namen Elisabeth getauft, wuchs zu einer schönen jungen Frau heran, deren großes Problem darin bestand, bei ihrer Größe von knapp anderthalb Meter Bekleidung zu finden, die zu ihrem Alter passte. Bezüglich Schuhen war das Problem nicht so groß, ihr Vater, dem sie oft in der Schuhwerkstatt aushalf, (aufräumen, zureichen usw.) fertigte ihr passendes Schuhwerk an. Ihr Wunsch, Schneiderin zu werden, auch und gerade, um sich passende Bekleidung selbst nähen zu können, wurde von den Eltern akzeptiert und sie begann eine Schneiderlehre.
Als sie zwei Woche dort war und jemand an die Werkstatttür klopfte und jemand sagte …
»Bettche, mach emol off, das werd de "lange Aujust" sei, der brengt Stoff!«,
eilte sie zur Tür, riss sie auf, trat einen Schritt vor - und befand sich mit der Nasenspitze ungefähr in der Höhe des Bauchnabels eines wahrlich "langen Lulatsches", des besagten "langen Aujust". Sie musste den Kopf weit in den Nacken legen, um das fröhlich grinsende Gesicht des Gegenübers zu sehen, das sich aber bei ihrem Anblick völlig veränderte.
Für beide schien in diesem Moment die Welt stillzustehen, bis die amüsierte Stimme des Meisters erklang:
»Aujust, komm eren, mach die Diehr zou, s werd kaalt en de Buude.«
Nun ja, für die beiden Verliebten war ab diesem Moment klar, dass sie heiraten wollten und nach der Ausbildung vom "Bettche" wurde ohne großes Brimborium Hochzeit gefeiert.
Aujust der schon einiges Geld zusammengespart hatt zog mit ins Haus ein, führte mit seinem Dreirad-Laster Lieferfahrten jeglicher ein und baute nach und nach die Scheune und Stallungen zu einem Textil- und Schuhwarenladen aus.
Eine nächtliche Begebenheit aber drang mal irgendwann durch Aujust nach außen:
»Eemol, mitte en de Noacht, do säät des Bettche: "Aujust, du richst hau owwer furchtboar aus em Maul!"
Aich huu e bessche do erimsortiert en gemeent:
 "Nee, Bettche, do onne, wuu du laist, do rich aich immer so!"«

 

 

 

Es Bettche hoiroat sein Aujust


Als es "Bettche" von ihrem "Aujust" zum Traualtar geführt wurde, war das ein Ereignis, das von weither Neugierige anlockte, denn dieses Paar, bei dem der Mann fast doppelt so groß war wie die Braut, das wollten alle sehen.
Sie kamen fast auf ihre Kosten, denn "es Bettche" hatte sich von ihrem Vater, der seinen ganzen Stolz in diese Arbeit legte, ein Paar hochhackige Schuhe fertigen lassen, die sie fast 10 Zentimeter größer machte, und der für den Schwiegersohn im Gegenzug gleich sehr modisch Schuhe angefertigt hatte, die fast keinen Absatz besaßen, aber wie "normale" Schuhe aussahen. Ihr selbst genähtes Brautkleid passte exakt so, dass der Saum so weit vom Boden entfernt war, dass die Gefahr nicht bestand, sich selbst drauf zu treten.
Nun gut, Nachkriegszeit, alles war knapp, aber zu dieser Hochzeit war - wie bei den anderen auch - wieder mal die eingeschworene Dorfgemeinschaft zur Höchstleistung aufgelaufen. Beim "Breckehannjere Schorsch" waren gut 20 Flaschen Schnaps gebrannt worden, die mit vielerlei Zutaten aufgepeppt neben den klaren Schnäpsen ein interessantes Arsenal von Likören ergab und eine Bombenstimmung versprach …
… die Schlachtsau - die mehr als das doppelte Gewicht des Wiegsäuchens hatte, das pro forma zur Viehwaage getrieben worden war - ergab einige schöne Braten …
… und die auf einem halben Dutzend Höfen hergestellte und abgezweigte Butter ergab eine prachtvolle Hochzeitstorte.
Nachdem noch alles so weit organisiert war, dass alle verheirateten Männer zum Kirchgang in Anzügen mit Zylindern antreten konnten, ging es vom Haus zur Kirche und nach der Trauung in dem bis zum letzten Platz gefüllten Gotteshaus durch ein Spalier von Neugierigen zurück zum Hof, auf dem in der festlich hergerichteten Tenne aufgetischt wurde.
Auf dem Rückweg von der Kirche flüsterte Aujust seinem Bettchen zu:
»Bettche, wuu sei dann däi Affe en Ellefannte, döi häi irchendwuu erimlaafe müsse, es gitt jo zou, wäi em Zirkus.«
»Ach, Aujust, doo misse mer durch, däi Affe en Ellefannte, doas sei hau mir zwuu.«
 »No ja, gout däss aich schuu en Aujust sei, do muss ich dene nit aach noch de domme Aujust mache!«

 

 

Graf Aujust Dracula
 

Em Bettche sein Aujust war in der benachbarten Kleinstadt gewesen und hatte im Eisenwarenladen einige Sachen eingekauft. Mit dem Rucksack auf dem Rücken war er zu Fuß unterwegs, als sich von hinten sein alter Kumpel Karl, seines Zeichens Schreiner, Zimmermann und Bestatter in Personalunion mit dem leichten Einspänner näherte, auf dem sich ein Sarg befand.
»No, Aujust, komm, setz dich zou mir, besser schlecht gefoarn als gout gelaafe.«
 »Joa, Karl, hoast recht. Es doas de Soarg fiern Schneirersch Fritz, Kerle, bei dem geng doas of eemol aach schwinn met dem Sterwe.«

Man unterhielt sich noch ein wenig, aber als das Wetter sich verschlechterte und schon die ersten Tropfen fielen, meinte Karl:
»Also Aujust, aich muss jo setzebleiwe en de Gaul lenke, owwer Du brauchst doch nit nass sewern, leg dich doch eefach en de Soarg.«
Gesagt, getan, Karl, das Pferd, der Wagen, der Sarg, alles wurde nass - nur Aujust lag trocken im Dunklen.
Als ob der Teufel Regie geführt hätte näherte sich das Fahrzeug ein Stück vor dem Dorf dem Bettche, die Pilze gesammelt hatte und sich mit dem Korb abschleppte.
»Komm eroff, Bettche, setz dich zou mir, brauchst aach nit so schwier se schleppe!«
Mag sein, dass es dem Aujust zu lange dauerte oder er sogar Luftnot hatte, keine fünf Minuten, nachdem Bettche das Fahrzeug erklommen hatte, hob er von innen den Deckel an, streckte die Hand heraus und man hörte von außen die hohle Stimme aus dem Sarg:
»RAANTS NOCH?«
 »Do kimmt de Deuwel eraus, doas es de Deuwel …«

Bettche schrie das laut immer wieder, sprang vom Wagen, raffte die Röcke und rannte ins Dorf, als ob tatsächlich der Teufel hinter ihr her wäre.
Aujust kroch aus dem Sarg, Karl fuhr bis an sein Haus und und meinte trocken:
»Vergess nit, de Korb met de Pilze metsenomme, Graf Dracula!«

 

Es lang "Feuerholz"
 


Es Bettche hatte ihrem Aujust schon Tagelang in den Ohren gelegen, dass das Feuerholz zur Neige ging und jetzt unbedingt Holz geschnitten und gehackt werden müsse. Aujust schien jedesmal was mit den Ohren zu haben, denn wenn sie das Thema anschnitt, kam turnusmäßig die Antwort:
»Woas hoaste gesaat? Doas hirn eich es erschte Moal.«
Als er nun eines Tages zum Abendessen in die Küche wollte, ließ sich die Küchentür nur einen Spalt öffnen, zu wenig, um "durchseschluppe", aber weit genug, um mit seiner Angetrauten sprechen zu können:
»Woas sei dann doas fier Bosse, woarim lesst sich däi Scheißdier nit offmache?«
 »Du kannst jo auße rimgieh und iwwwer die Goardedier enennkomme, dann sehste, "woas doas fier Bosse sei"!«

 Er stapfte knurrend raus, umrundete das Haus, kam zur Hintertür rein und sah die Bescherung 

Bettche hatte ein schmales, ein Meter langes Holzscheit von dem noch nicht zu Feuerholz verarbeiteten Holzstapel mit einem Ende in den Küchenherd geschoben, mit dem anderen Ende lag es auf einem Schemel und diese Konstuktion machte es unmöglich, die Tür zu öffnen.
»Himmeldonnerwerrer, woas soll dann doas?«
 »No ja, wann Du es nit fertichbrengst, es Holz kleesemache, dann muss aich doas halt so mache - irchendwäi widde jo aach woas Woarmes se esse en se trenke huu!«

 

Es Bettche en sein Aujust woarn en Gäiße

 

Es Bettche en sein Aujust waren mit der Bahn nach Gießen gefahren, um sich kundig zu machen, welche Waren man am besten wie im Laden anbieten könnte. Erste Erkenntnis vom Bettche, als sie in verschieden großen Läden für Nähzubehör, Miederwaren, Oberbekleidung, Strümpfen undsoweiterundsofort gewesen waren:

»Aujust, es helft naut, mir müsse die Scheuern ausbaue en e Rolltreppe kimmt aach dezou!«

»Joa, Bettche, en en die Owerlääwe kimmt e Café en de Schulllierer spielt fier däi Leu, däi sich doas leiste kenn Klavier!«

»Etz spinn doch nit so erim, Aujust!«

«Bettche, Du hoast doch ogefange!«

Nun ja, sie hatten sich dann auch an verschiedenen Stellen befragt, wo man solche Verkaufsmöbel bestellen konnte, als sie nach dem Verlassen eines Ladens von einem Herrn angesprochen wurden, der sich als Vertreter einer solchen Firma zu erkennen gab. Als sie ihm von ihren Plänen erzählten, unterbreitete er ihnen das Angebot, das Inventar eines Ladens, der in Kürze erweitert und neu eingerichtet wurde zu einem fairen Preis anzubieten. Man begab sich zusammen dorthin, sie sahen sich das vorhandene Mobiliar an und waren hin und weg. Man machte einen Termin aus, an dem der Vertreter kommen konnte, um die Räume auszumessen und auch die Einrichtung so zusammenzustellen, dass möglichst viel Waren übersichtlich präsentiert werden konnte und beide Seiten gingen zufrieden auseinander.

Das alles hatte länger gedauert, als sie eingeplant hatten und beide ein wenig hungrig werden lassen. Es traf sich gut, dass ihnen genau in diesem Moment der Geruch nach Bratwurst in die Nasen stieg. Sie erstanden an einem je eine Bratwurst im Brötchen und machten sich auf den Weg zum Bahnhof, es wurde Zeit, wenn sie den Zug noch erreichen wollten. Als sie am Bahnhofsvorplatz ankamen, erinnerte Sich Bettche, dass ihre Mutter ihr aufgetragen hatte, vom dortigen Obststand drei Bananen mitzubringen. Aujust meinte nur:

»Gout, gieh schnell hie en holl deier Modder däi drei Banane, häi es die Koarte, uhne däi du nit zoum Zuch kimmst - aich laafe schuu fier en haale den irchendwäi off!«

Als Aujust zum Zug kam zischte und dampfte die Lok schon vernehmlich, die Abfahrt stand kurz bevor.

»Alles Einsteigen, Türen schließen, der Zug fährt gleich ab!«

Mit diesem sich laufen wiederholenden Spruch lief der Schaffner am Zug entlang und warf noch offenstehende Türen zu, bis er an das Abteil kam, in das Aujust eingestiegen war.

»Alles Einsteigen, Türen schließen, der Zug fährt gleich ab!«

Tür zugeworfen – sie sprang wieder auf!

»Alles Einsteigen, Türen schließen, der Zug fährt gleich ab!«

Tür zugeworfen – sie sprang wieder auf!

»Zoum Donnerwerrer - Alles Einsteigen, Türen schließen, der Zug fährt gleich ab!«

Tür zugeworfen – sie sprang wieder auf!

In nächsten Moment streckte Aujust seinen Kopf aus der Türöffnung und sagte lachend:

»So lang aich mein Damme met dem Schoamacherfengerhout aus Stahl do hie haale duu, so lang kriste däi Dier nit zou. Gleich düffste se owwer zouhaache, do kimmt mei Bettche, loss se ensteie en dann duu aich mein Damme weg!

 

 

Es naue Klo

 

"Es Bettche en sein Aujust" hatten nach erfolgreichem Start ihres kombinierten Schuh und Konfektionsladen mit angeschlossener Werkstatt des Öfteren auch Kunden, die den Wusch äußerten, auch mal die Toilette aufsuchen zu dürfen. Mit der Zeit war es ihnen schon recht peinlich, als "Geschäftsleute" zugeben zu müssen, dass aus "abwassertechnischen Gründen" auf dem ganzen Grundstück tatsächlich nur das in die Stallwand eingepasste Außenklo mit der herzförmigen Lüftungsöffnung zur Verfügung stand. Also wurde zu all den schon bestehenden Provisorien ein weiteres hinzugefügt, die kaum lohnende und zudem bis in die Ladenräume geruchsbelästigende Schweinemast wurde aufgegeben und der Schweinestall zu Bad und Toilette für Privat, Toilette für Besucher und dringend notwendigem Lagerraum umgebaut.

Es kam ein tolles "Wee Zee" mit deiner Druckspülung hinein - und gefühlt jeder Dorfbewohner hatte in kürzester Zeit die neue Errungenschaft eingeweiht. Dass man dafür auch eine Kleinigkeit einkaufte ließ übrigens den Umsatz an Unterwäsche, Socken, Damenstrümpfen und Schuhpflegemittel in die Höhe schnellen und war - das stellte Aujust, der die Buchführung "unter sich hatte" im Nachhinein fest - in diesem Segment über Jahre in einer für dörfliche Verhältnisse zufriedenstellenden Höhe verblieben.

Kurzum, die Toilette sorgte durchaus für ein Umsatzplus und war in der Zeit, als auf den Dörfern Wasser und Abwassergebühren kein Thema waren auch kein großer Kostenfaktor.

In den allerersten Tagen kam auch "es Kalinche", eine alleinlebende, schon etwas merkwürdige Frau in den Laden, um das "Wunderding" zu bestaunen.

"Es Kalinche", das muss man wissen, war nicht mehr so gut zu Fuß, und da sie, um zum Plumpsklo im  Stall zu gehen, acht Treppenstufen in den Hof runtersteigen und unterwegs noch einige Stolperfallen überwinden musste beschränkte sie ihre "Klogänge auf das absolute Minimum, also das "große Geschäft", während sie sonstige kleine Geschäfte ins "Pissdeppe" erledigte, das sie der Einfachheit halber durch das kurzerhand geöffnete Schlafzimmerfenster in die am Haus entlangführende Gosse entleerte.  Man wusste im Dorf Bescheid und mied diese Seite der Gasse - und dass ab und an mal ein besonders eifriger Vertreter eine Dusche abbekam wurde mit Freude zur Kenntnis genommen, wobei alle Nachbarn mit zur Schau getragenem Mitgefühl beteuerten, dass da mit Sicherheit keine Absicht bestehen würde, "es Kalinche" wäre so gut wie blind und taub.

Nun ja, Kalinche bestaunte "doas naumorich Hexewerk", machte einen Rundgang durch den Laden, immer wieder "woas es doch nit all gebt" murmelnd, erstand zwei Waschlappen und zwei Handtücher und stellte plötzlich fest, dass sie den Heimweg doch nicht mehr schaffen würde, ohne zuvor "doas komisch Deng" benutzt zu haben.

»Owwer Bettche, dou basst off, bleibst häi stieh, en wann aich rufe, kimmste schnell en helfst mer.«

»Do kannste daich droff verlosse, Kalinche!«

Es dauerte nicht lange, und von drinnen klang das Rauschen des Druckspülers, das gar nicht aufzuhören schien, und ein verzweifeltes:

»Du läiwer Gott, du läiwer Gott, woas mach aich bluus …«

»Kalinche, woas es dann luus?«

»Ach Bettche, Komm schnell en mach maich häi luus, aich gläwe. sonst säch aich mich duud!«

Bettche riss die Tür auf und sah, dass es Kalinche sich irgendwie so mit einem ihrer Unterröcke am Druckspüler verhakt hatte, dass der auf Dauerbetrieb lief, befreite sie mit einem Handgriff - und weg war "es Kalinche" …

 

 

De Schwoarzfaoarer

 

Es Bettche en sein Aujust waren – als Geschäftsleute unabdingbar – bei der Beerdigung des Ortsdieners anwesend und anschließend natürlich auch zum „Tröster“ im Dorfkrug erschienen. Da es Bettche zum Verwandtenkreis zählte, saß sie mit am Tisch der Verwandten, Aujust hatte es vorgezogen, am “Prominententisch“ Platz zu nehmen, an dem unter anderem der Bürgermeister, der Ortslandwirt, der Jagdpächter, der „Kolonialwarenhändler, der Metzger, der Bäcker und der Schreiner/Bestatter, der Dorfgendarm und – immer ein wenig auf dem Sprung - der Feldschütz saßen. Der Feldschütz, der zum einen immer dafür sorgte, dass am Tisch genug zu Trinken war und im stillschweigenden Abkommen zwischen Wirt und Jagdpächter für eigene Getränke nichts zahlen musste und zum anderen das Talent besaß, genau so viel von den Gesprächen am Tisch im Dorf zu verbreiten, dass die Neugier gestillt war, aber auch nicht zu viel von den Gesprächen nach außen drang, pendelte zwischen den Tischen hin und her und ließ Aujust wissen, dass er mal “Zoum Bettche komme sollt“.

Am Tisch hatte man ihm schon einen Platz zwischen Bettche und „dem Ortsdinnersch Liesche“ freigemacht, eine Tasse Kaffee war von Bettche schon hingestellt worden, man kam sofort auf das Problem zu sprechen. Es Liesche gestand freimütig, dass es bei ihr jetzt mit dem Geld knapp werden würde, dass sie wohl weiterhin mit der Schelle durchs Dorf laufen und den Job als Ortsdienerin ausführen wolle, aber dass sie „met dem Bettche“ schon darüber gesprochen hatte, nachmittags im Laden auszuhelfen. Was ihr aber mehr auf dem Herzen lag war die Tatsache, dass sie jetzt niemanden mehr hatte, der sie zu dringend notwendigen auswärtigen Terminen mitnahm.

»Du wääßt doch, mein Kall hott maich immer met seim aale Moduurroad so schie em Seitewaa higefoarn, wuu aich emo ubedingt himusst!«

»Ach Liesche, do kann aich doas ob en zou mol enrichte, dess aich daich metnomme. Owwer wäi seht doas aus, widde nit noch de Führerschei mache?«

»Nee, nee, doas schaff aich nit, owwer aich düff doch met am Mopedche foarn, dofier brauch mer doch keen Führerschei. Kanns de mer nit doas aalt Moduurroad metnomme en mir defür e nau Mopedche metbrenge?«

»Doas kenn mer mache, aich brauch dofier nur die Babaier vom Moduurroad en om beste gebste mer gleich aach de Führerschei vo deim Kall met, dess doas met dem Obmenn schneller gitt.«

»Dem Kall sein Führerschei? So woas hott der nie gehatt, der hott doch alle Hitlerjunge met dem Moduurroad, woas er vom aale Bürchermeester gekritt hat, doas Foarn beigebrocht, der hott owwwer den Wesch, den er vo dem aale Nazi gekritt hatt, fottgeworfe en hott nie woas annersch gehatt!«

»No ja, Liesche, mir mache es, wäi besproche, aich gie noch emol riwwer en schwätze met de annern, doas werd schuu klappe!«

Aujust setzte sich wieder an den “Prominententisch“ und berichtete, dass sie dem Liesche eine Teilzeitstelle anbieten würden, dass er das Motorrad verkaufen und im Gegenzug ihr „e Mopedche“ besorgen würde, um sich dann an den Dorfgendarmen zu wenden:

»Du, Wilhelm, du biest doch ob en zou beim Kall metgefoarn, hoast de nie gefrocht, ob der iwwerhääpt en Führerschei hatt?«

»Nee, of däi Idee sei aich nie gekomme, der es doch schuu immer met dem Moduurroad „off Achse gewäese – doas Schlitzuhr!«

Das folgende Gelächter der „Honorationen“ war noch nicht recht verklungen, die Schnapsrunde, die der Dorfgendarm zu geben sich genötigt sah, noch nicht richtig getrunken, schon war der Feldschütz schon überall herumgewieselt und hatte diesen Joke zum Besten gegeben. Die Stimmung hob sich, man tauschte Geschichte um den Verstorbenen aus, der Dorfkrug leerte sich bis auf die “Honorationen“, die noch einige Runden im Gedenken an den notorischen Schwoarzfoarer leerten. Als sich abzeichnete, dass die Runde sich auflösen würde, hatte der Wirt mit seinem inzwischen von der Arbeit gekommenen Sohn Manfred geflüstert – und plötzlich war Motorengeräusch zu hören, der Sohn des Wirtes kam in den Motoradklamotten seines Vaters zur Tür rein und rief:

»Es Liesche hott mer geruffe, aich soll met dem Kall seim Moduurroad en leicht ogetrunkene Staatsdiener heemfoarn!«

Großes Gelächter, man strömte hinaus und Manfred hatte noch einige Zeit zu tun, denn es ließ sich keiner nehmen, auch mit dem Oldtimer nach Hause gefahren zu werden …

 

 

Es Bettche en sie nau Kass


Es „Bettche“ en sein „Aujust“ hatten schon jahrelang mit viel Erfolg ihren Laden geführt, als ihre Tochter Annette, die nicht nur Orthopädieschuhmacherin gelernt hatte, sondern umgehend auch noch Meisterin geworden war, mit ins Geschäft einstieg. Sie sagte ganz klar, dass dies die einzige Art wäre, geschäftlich zu überleben, denn solange ihre Eltern noch die Stammkundschaft weiter bedienen konnte, würde sie mit der Orthopädie ein neues Standbein aufbauen. Der alte Laden wurde in Etappen umgestaltet, barrierefreie Ein- und Übergänge, freier Blick in die Werkstatt, Beratungsecken und …
 … ein neues Lager- Abrechnungs- und Kassensystem vervollständigten die neue Ära des neuen Spezialgeschäftes 

 
Anettes Orthopädie, Schuh- und Bekleidungshaus
Jetzt mussten nur noch die Eltern lernen, mit der neuen Kasse umzugehen. Kurzerhand wurde Aujust dazu verdonnert, einen Einkauf zu tätigen, den Bettchen dann in die Kasse eingeben musste. Am Ende stand leuchtete ein Zahlbetrag von 42,55 DM auf, darunter pulsierte das Wort „Gegeben“. Aujust legte einen Fünfziger hin, kramte im Geldbeutel nach Münzen und legte einige auf den Münzteller. Bettche griff sich zwei Markstücke und einen Fünfziger, tippte sorgfältig 52,50 ein und bestätigte…
 … um dann völlig entgeistert auf die Anzeige zu starren 

Rückgeld 9,95 DM
»En woas soll aich etz mache, etz stimm däi ganz Kass naumie …«
»Ach Bettche, ganz eefach, de Rest mache mer wäi froier, Du musst mer eichendlich 9,95 Mark gewwe, aich gewwe der däi 5 Fennich, däi fiern Zehner fehn, Du gebst mer en Zäiemarkschei– en schunn stimmt alles! En wann es Anettche etz de Zweschestaand vo de Kass obdreckt, werschte seh, doas basst!«
Anette, die sich vor Lachen kaum halten konnte, setzte dazu:
 »En wanns wirrer bassiert, eefach de ruure Knopp met dem C droff drecke, bies es wirrer do es, wuu es noch richtich woar, bei „Gegeben“!«

 

 

Unverhoffte Begegnung

Da saß "dem Bettche sein Aujust" weil des Bettche "schnell noch woas erlediche musst" im Dachcafé und blätterte gelangweilt zum dritten Mal die FAZ durch. Ein Blick zur Uhr trug auch nicht grade zur Erheiterung bei, denn die Zeit wollte einfach nicht vergehen um an dem magischen Punkt anzukommen, von dem an er mit der Ankunft seiner Holden rechnen konnte, also eine halbe Stunde nach der verabredeten Zeit. Den auffordernden Blick der Bedienung missachtend nahm er nur einen Winzeschluck aus der Kaffeetasse und widmete sich wiederum, ganz großes Interesse heuchelnd, der Zeitungslektüre. Da fiel von hinten ein Schatten über ihn, er faltete sofort die Zeitung zusammen und wandte sich überrascht um, denn mit einem so frühen Eintreffen seiner Frau hatte er nicht gerechnet. Zu Recht, wie sich nach seinem Aufspringen und Umdrehen herausstellte!

Es lächelte ihn eine Dame von ca. Siebzig an, zog überrascht die Augenbrauen hoch, umkurvte den Tisch und ließ sich unaufgefordert ihm gegenüber nieder. Während er sie eher aus den Augenwinkeln musterte fiel ihm auf, dass er von ihr, man könnte sagen "durchgescannt" wurde.
Besonders lange verweilte ihr Blick auf seinen Händen, die völlig ohne (Ehe-) Ring waren. Dieser befand sich, seit er sich an der Bohrmaschine fast den Finger abgerissen hatte in der Nachttischschublade seiner Frau. Auch der Versuch, ihn per Goldkettchen an den Mann zu bringen war an seiner rabiaten Art sich der Oberkleidung zu entledigen, gescheitert. Er wirkte mit durchgebräuntem Ringfinger völlig ungebunden.

Die nette Dame lehnte sich zurück und und sprach ihn an:
»Hallo, ich bin die Irene und freue mich, ihre Bekanntschaft zu machen, auch wenn Sie mir ein bisschen jung erscheinen.«

Aujust war irritiert
’Indressant, met Sechzig als "jung"ogesproche se wern …’
und ohne eine Ahnung wie es weitergehen könnte schaute er ziemlich verdattert vor sich hin.

»Ich bin ja wohl ein bisschen spät, Sie haben vorhin ja schon ziemlich ungeduldig auf die Uhr geschaut, aber schön, dass Sie so lange ausgehalten haben. Hallo Bedienung, einen Kaffee, ach ja, trinken Sie auch noch einen, dann zwei bitte und mir noch eine Quarkschnitte.«

’No sowas, däi will mie en Kaffie ausgewweKaffee, seh aich so oarm aus?’

»Ach ja, nachher können wir einige Schritte Richtung Innenstadt gehen, Sie müssen mir unbedingt von Ihren Plänen erzählen, ich möchte mir von Ihnen ein genaues Bild machen, bevor wir uns ein bisschen näherkommen.«

’Läiwe Gott, woas es dann doas für en Film ab, mol gugge, ob häi irchendwuu "die versteckte Kamera" lääft.’

«Jetzt sollten Sie aber auch etwas von sich erzählen, Herr Schulze.«

’Herr im Himmel, däi hält maich für en "Herrn Schulze", wäi komm aich oostänich aus der Nommer eraus?’
In diesem Moment ertönte, engelsgleich, hinter ihm die Stimme vom Bettche:
»No Aujust, es hott ebbes gedauert, owwer Du hoast daich jo bestimmt gout innerhaale …«

»No ja, die meest Zeit huu aich Zeiring gelese …«

Er drehte sich zu seiner neuen Bekannten herum …
»denn als ich kam stand grade ein Herr auf, feuerte mit den Worten "die können Sie haben" die Zeitung auf den Tisch und einige Zeit später kamen ja Sie, und unterhielten sich mit mir.«

 Vom Tisch aufstehend legte er kurz den Finger auf die Lippen, ein Lächeln, eine Verbeugung und am Arm seiner Frau verließ er eine verwirrte, leicht errötende Irene, Nachname unbekannt …

 

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